Auf der Suche nach dem fremden Glück

27. September 2017
Das ist eine private Geschichte: irgendwo im Wald der Glücksburger Heide liegen zwei oder drei Häuser: Weidmannsruh.
Ich bin auf der Suche nach dem mir fremden, einstigen Glück der anderen.

Bahnhof Oehna
Bahnhof Oehna

Wie es am Giebel des Bahnhofs steht, waren es von Berlin aus zur Zeit als die DB noch Eisenbahn genannt wurde 70,83 Kilometer. Die Berliner Stadtgrenze wird sich seither verschoben haben. Oehna aber ist Weidmannsruh wie seit jeher am nächsten gelegen.
Von Leipzig aus war es der Bahnhof Niedergörsdorf. Bis dorthin fuhr man von Weidmannsruh mit Fahrrad oder Pferd und Wagen, manchmal auch bis Jüterbog.

Gedenkstein Oehna
Gedenkstein Oehna: Den Opfern zum Gedenken April 1945

Am Bahnhof Oehna ein Gedenkstein: lange steht er hier noch nicht. Was ist lange… ich weiß nicht mehr, wann ich schon einmal auf der Suche nach Weidmannsruh gewesen bin.
Die Inschrift des Steines fällt mager aus, so wie die mittelalterlichen Sühnekreuze am Wegesrand nichts preisgeben von dem ursächlichen Geschehen. Nur von Alteingesessenen ist dann etwas zu erfahren. Noch gibt es die seit Generationen mit ihrem Ort eng Verbundenen. Sie kennen die Geschichten der Menschen (obwohl gerade diese ständige Anteilnahme uns in unseren Breiten oft zu nerven scheint), sie kennen noch die bildkräftigen Flurnamen (Weidmannsruh hieß bis 1945 in exakter Jägersprache Waidmannsruh). Auch genaueste Wanderkarten verzeichnen heute nur noch übergreifende, geographische Namen.
Zuzügler haben wenig Interesse und immer ein Auto…
An der Kirche von Oehna pflegt hinter der Friedhofsmauer eine Frau ein Grab. Die Menschen im Fläming sind liebenswürdig zu jedem, ich könnte fragen. Halt – im selben Moment denke ich an die vergangene Wahl von diesem Sonntag; es müsste Teltow-Fläming III sein: 21% für die AfD. Von Berlin aus ist das nicht zu verstehen. Die Orte leben in ihrem Alltagsfrieden – lassen wir alle Geschichten ruhen.

Von dem Geschehen aus dem Jahr 1945 möchte ich nicht berichten, es kann HIER nachgelesen werden. Das gelbe Backsteinhaus neben dem Gedenkstein verfällt, von Zerstörung gezeichnet. Direkt hinter dem Stein, ebenfalls mit zerbrochenen Fenstern, das kleine, verwunschene Schneeweißchen- und Rosenrot-Haus. Dort oder hier, wo ich stehe… Der Garten ging einst wahrscheinlich doch bis zum Wegesrand.

Militärisches Gebiet am nördlichen Rand der Glücksburger Heide
Militärisches Gebiet am nördlichen Rand der Glücksburger Heide

Im Wald gerate ich zwischen Panzergruben und Schützengräben, vielleicht auch alte Bombentrichter. Männer haben sicher die genauen Begriffe dafür. Kampfgebiet. Von wann ist mir unklar. In Niedergörsdorf war ein Fliegerhorst der Luftwaffe des Dritten Reiches. In einem Brief von 1935 heißt es: “…jetzt bauen sie gar 10 Minuten von uns entfernt einen Bombenabwurfplatz;” und gleich nach dem Semikolon weiter locker flockig “gefährliche Nachbarschaft!” In dieser Gegend musste man letztlich im Einvernehmen mit dem Militär in und um Jüterbog leben. Der Gedenkstein und der Wald gehören zusammen, so wie dazwischen das Gut Waidmannsruh.

Bunkereingang
Bunkereingang

Mir ist die ohnehin geringe Lust vergangen, meine Wanderung auf das “Alte Lager” auszudehnen. Ich versuche noch einmal schräg in den Wald hinein dieses Weidmannsruh zu finden. Pfifferlinge leuchten ab und zu auf den Wegen. Aber hoffnungsvoll deutliche Spuren führen dann doch ohne ersichtliches Ziel wieder und wieder an Gräben und Hügeln des einstigen Militärs vorbei.

Fuchsbau in der Glücksburger Heide
Fuchsbau

Der Fuchsbau sieht für eine Maus sicher nicht weniger gruslig aus. Die Welt ist voller Räuber. Von weitem höre ich dumpfes Blöken von Hirschen, ab und zu ein Fiepen von Rehwild.

Rotwildrudel von Hirsch angeführt
Rotwildrudel mit Hirsch

Wahrhaftig: ein Rothirsch trabt flüchtig über den Weg. Von mir kann er nicht Wind bekommen haben, er beachtet mich nicht. Was für ein Erlebnis! Und da! Aus dem hohen Farn ein kapitaler Hirsch, hinter und um sich ein Rudel Kahlwild, also Hirschkühe. Zitternd versuche ich das Handy aus der Jackentasche zu fingern, aber nicht einmal ein später nachkommendes Kalb erwische ich. Die ganze Luft riecht nach Wild. Mein Herz pocht: das wirkt gewaltig. Das Rudel steht im Busch und wartet. Ein Tier sehe ich sogar noch am nächsten Querweg.
Ich gebe die Suche nach Weidmannsruh auf. Dieses Erlebnis muss ich erst verkraften. Es war eben kein Hirsch hinter einem Zaun. Das war der Platzhirsch, nur kurze Zeit gesellt der sich zu den Tieren der Herde. Es ist Brunftzeit – der Rivale jedenfalls lief allein.

Fläming-Skate Richtung Gölsdorf/Dennewitz
Fläming-Skate Richtung Gölsdorf/Dennewitz

Hinter dem Wald durchschneidet der Fläming-Skate als einziger Weg riesige Ackerflächen. Die Kartoffeln sind ratzekahl abgeerntet. Ab und zu liegen Pflaumen auf dem Weg. Aber penibel sind die Bäume seitlich bis zur Krone abrasiert. Radler oder Skater sind ein Wirtschaftsfaktor, die haben nicht unterwegs bereits zu naschen. Neue Bepflanzung – sofern vorhanden – beschränkt sich auf Ahorn etc.

Pyrenäenberghunde als Hütehunde mit Schafherde - der Fläming ist Wolfsgebiet
Pyrenäenberghunde als Hütehunde mit Schafherde – der Fläming ist Wolfsgebiet

Die ersten Sonnenstrahlen am Mittag: friedlich beschützt liegen die Schafe. Die beiden riesigen Pyrenäenberghunde lassen mir keine Ruhe zum Fotografieren. Schade. Bin ich der Wolf???

Bockwindmühle Dennewitz
Bockwindmühle Dennewitz, heute eine “Hochzeitsmühle”

“Hier wird nicht gemahlen, sondern vermählt” steht am Eingangsschild der Hochzeitsmühle von Dennewitz: ein romantischer Ort für das einmalige Ereignis. Ich lasse das Dorf gleich aus. Meine Hoffnung, irgendwo am Straßenrand einen Baum mit Äpfeln zu entdecken, habe ich aufgegeben.
Am Dorfanfang oder auch -ende von Rohrbeck reiht sich dann wirklich Häusle an Häusle mit Koniferen, Baumarktgewächs und Schlimmerem. Ein Kürbis wächst verschämt als einzelnes Prachtexemplar dahinter auf dem Kompost. Ein Relikt aus der Zeit der echten Flämingbauern.

PrPrivate, kleine Landwirtschaft im Fläming: großer Kürbis
Private, kleine Landwirtschaft im Fläming: großer Kürbis

Am Rande von Jüterbog wenigstens noch eine Schar bunter Hühner. Der Herbst ist da und sehr offensichtlich die Mauser. Dem Hahn würde ich es von Herzen gönnen, dass er zu seinen Schwanzfedern nicht auch noch sein Leben in einem Suppentopf verliert.

Das herbstlich klägliche Ende des stolzen Hahnes
Das herbstlich klägliche Ende des stolzen Hahnes
Frühstück auf Gut Waidmannsruh 1937
Gut Waidmannsruh 1937

Weidmannsruh werde ich irgendwann ein drittes Mal suchen. Vielleicht doch mit Karte in der Hand und nicht in Richtung Flämingskate. Der führt eher durch Nichts mit dem Ziel “Schnelligkeit auf Rädern”.

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