Nebelschleier, Pilzschwemme und Wassersuppe

24.9.2017
Sechse kommen nicht durch die ganze Welt, aber 20 Kilometer durchs Ländchen Rhinow

Der Regen vom Morgen, auf dem Gollenberg, 24.9.2017
Der leise Regen vom Morgen hängt noch in den Zweigen, auf dem Gollenberg, 24.9.2017

Das Gras ist nass und steht hoch sogar auf den Wegen. Lange dauert es nicht, bis auch die Schuhe durchweicht sind. Wir wandern mit E.Knauer vom Wandersportverein Rotation Berlin. Da geht es sowieso bald quer durch…

Windharfe, Denkmal auf dem Gollenberg, Stölln 24.9.2017
Windharfe, Denkmal auf dem Gollenberg, Stölln 24.9.2017

Eine Denkmal (2007) des Berliner Bildhauers Ernst Baumeister erinnert auf dem Gollenberg bei Stölln im Ländchen Rhinow an den Flugpionier Otto Lilienthal. Die auf der Sandsteinstele zum Abflug bereite Figur ist mit Spanndrähten verbunden, die lt. Infotafel wie eine Windharfe wirken. Aber dieser 24. September ist völlig windstill. Ringsum Nebel.

Blick vom Gollenberg Richtung Absturzstelle Otto Lilienthals im Norden, 24.9.2017
Blick vom Gollenberg Richtung Absturzstelle Otto Lilienthals im Norden, 24.9.2017

109 Meter hoch erhebt sich der Gollenberg über dem Meeresspiegel. Auf diesen “Berggipfel” hatte Otto Lilienthal seinen Hauptübungsplatz verlegt und stürzte im August 1896 tödlich ab.

Sanddüne Gollenberg, Weg zum Flugplatz, 24.9.2017
Sanddüne Gollenberg, Weg zum Flugplatz, 24.9.2017

Zwischen Heidekraut und Elchflechte auf der Sanddüne des Gollenberges geht es bergab zum Flugplatz von Stölln.

Flechten auf einer Sanddüne am Gollenberg, 24.9.2017
Flechten auf einer Sanddüne am Gollenberg, 24.9.2017

Erbsenfeld, Ländchen Rhinow, 24.9.2017
Erbsenfeld im Ländchen Rhinow, 24.9.2017

Unterwegs nix zum Futtern, nur sehr schön anzusehen: Erbsen als Grünzeug fürs Vieh…

Ländchen Rhinow, 24.9.2017
Ländchen Rhinow, 24.9.2017

Aber dann in den hügeligen Wäldern an diesem feucht-warmen Sonntag…

Pilz, versteckt unter Spinnennetz, 24.9.2017
Pilz, versteckt unter Spinnennetz, 24.9.2017

Pilze, Pilze, Pilze – wie gesät. Dieser hier hat das Glück eines wunderbaren Spinnenschutzes.

Hohennauener-See, 24.9.2017
Hohennauener-See, 24.9.2017

Richtung Elslaake verlieren sich die Berge in der Ebene. Vom Dorf Wassersuppe aus geht es auf einem Dammweg an der Nordseite des Hohennauener Sees entlang bis Hohennauen. Dort fährt ein Bus nach Rathenow zum Bahnhof.

Maronen aus dem Ländchen Rhinow, 24.9.2017
Neider dürfen hier klicken!
Mit schweren Beuteln voller Maronen kommen Sechse durchs Ländchen bis Berlin und nach Hause.

Eine Pilzpfanne ist bereits verzehrt. Am Montag wird es für mich noch einmal zwei opulente Pilzmahlzeiten geben können.

1991, Portbou / katalanische Pyrenäen

Portbou

Als ich noch ohne Apparate wanderte.

Von Perpignan aus kommend, der Grenzbahnhof Portbou nach Spanien: hier verweigerte die Franco-Polizei Walter Benjamin am 25.September 1940 die Einreise. Die Nacht vor seiner Abschiebung verbrachte er in einem kleinen Hotel. Dort wurde Benjamin am anderen Morgen tot aufgefunden.
1991 kannte in Portbou niemand auch nur den Namen Walter Benjamin. Nichts von der Geschichte des Grenzbahnhofs war zu erfahren. Der Friedhof mit seinem kleinen Kolumbarium lag einsam. Den atemberaubenden Blick, steil hinunter zum Meer, werde ich nie vergessen. Am Himmel war ein Regenbogen zu sehen.
Kurz darauf musste ich mir mein Bild malen.

1994 las ich von der Einweihung des „Passagen“-Monumentes auf dem Friedhof, dort wo jeder Blick wie gebannt war vom Eindruck einer gefährlich schönen, sprechenden Natur.
Es sind die gelesenen Werke Walter Benjamins, die ihn unvergesslich machen und den Ort heiligen. Das Monument ist zuallererst ein Kunstwerk von Dani Karavan.
Auch Thomas Müntzer mit seinem Bauernheer bekam Denkmäler. Und doch steht für mich weitaus intensiver der kahle Berg der Schlacht bei Frankenhausen (1525) vor Augen mit dem damaligen Regenbogen (mag er wahr oder ein Mythos sein).
Jeglicher Denkmalgedanke hat seine Tücken.

Tilleda

Tilleda 1967
Ausgrabungsort Tilleda und Kyffhäuser-Denkmal 1967

Es gibt nichts Schöneres als zufällig eine Uralt-Erinnerung auszugraben! Richtig ausgraben: erst seit 1958 gab es nach ersten Versuchen wieder Untersuchungen zur Königspfalz auf dem Pfingstberg unterhalb des Kyffhäusers/Thüringen. Im Sommer 1967 gab es ein Ausgrabungspraktikum der Leipziger Uni zur Vor- und Frühgeschichte auf dem Gelände der Pfalz Tilleda. Inzwischen ist es die einzige vollständig ausgegrabene Pfalz in Deutschland und eine Station an der Straße der Romanik.

Hierhin führten auch Ferien-, Schul- und Sport-Wanderungen nach 1961 (das Eichsfeld als mein Ferienparadies war unerreichbares Grenzgebiet geworden): Tagesausflüge zur Hainleite, bis Kyffhäuser, Harz und etwas ausgedehnter in den Thüringer Wald. Nichts gab es, was nicht geologisch, archäologisch oder historisch von Interesse gewesen wäre, mehr noch: es formte und bildete dort die Menschen. Ich weiß nicht, ob die Globalisierung und das Segeln auf allen Meeren der Welt, das gleiche Glück bringen.

Das heutige Freilichtmuseum Tilleda bietet für Besucher als Event “Geschichts-Rally als unterhaltsamere Führung über die Königspfalz”, “Archäologie live”, “Mittelalterliche Bautechnik” etc. und als Höhepunkt ein alljährliches „Ritterfest“ im Juli. Wenn ich “mein” Bergwaldprojekt als durchaus vergleichbar lehrreich und unterhaltsam anpreise, ernte ich mehrheitlich Kopfschütteln. Vielleicht würde das Interesse sprunghaft ansteigen, wenn dafür bezahlt werden müsste (à la Tom Sawyer beim Zaun streichen). Auch die 100 Kilometermärsche vom Wandersportverein Rotation Berlin für 2 bis 5 Euro verzeichnen weniger Zulauf zumindest aus der Generation Facebook etc. als der über 50 Euro teure “Mammutmarsch”

Hagelberg im Schnee

19.1.2017: Von Bad Belzig nach Hagelberg und zurück.

Im Fläming liegt dicker Schnee. Kein knackender Zweig, der Schnee schluckt jeden Laut. Ich hinterlasse einsame Spuren und komme kaum vorwärts: überall verwunschener Schnee-Elfenwald.
 
Belziger Busch
 
Selten erhebt sich lautlos ein Raubvogel und fliegt über den Weg zum Feld. Ein geschäftiges Rotkehlchen ignoriert mich völlig.
 

 
Stehen irgendwo noch Bäume aus den Kriegsjahren um 1813?
Ganz leise soll es gewesen sein im Wald bis zum Anbruch der Schlacht bei Hagelberg. Durch den Belziger und Lübnitzer Busch musste man erst einmal durchkommen, um ohne Hindernisse losschlagen zu können.
Auf den historischen Karten führen nicht mehr Wege als heute durch den Wald.
 
Schneekristalle, Januar 1917, Hagelberg
 
Aus unzugänglichen, kleinen Gründen tönt der Schreckruf von Rehwild. Auch im Wald ist niemand sicher. Von Kriegszeiten künden in allen deutschen Landen Namen wie Streitholz oder Schreiholz, Schanzen und wüste Dörfer. Ich versuche mir die Gefechte vorzustellen, das Schicksal der Landwehr.
Am Waldrand, um Bäume gruppiert: mittelgroße Feldsteine. Das sind keine Lesesteine. Zeichen alter Gräber? Tiefer im Wald hätte zwischen Wurzeln nicht schnell genug ein Grab ausgehoben werden können. Es ist nirgends beschrieben, wo die Ermordeten begraben wurden.
 
Hagelberg, Neues Denkmal
 
Abwärts nach links stolpere ich wegelos, um aus Richtung Klein Glien direkt auf das neue, architektonisch gedachte Denkmal von 1955 zuzumarschieren. Es soll speziell an die deutsch-russische Waffenbrüderschaft erinnern. Die Landwehr war international, mit Kosaken,Schweden, polnischen Ulanen, auch gepressten oder welschen Franzosen.
Dann stehe ich auf der Bergkuppe vom Hagelberg mit seinem schlichten Gipfelkreuz und einem weiten Blick ringsum. Direkt auf dem Berg saßen die napoleonischen Truppen.
 

 
Texte getextet, wahrscheinlich je nach Zeitenlauf variiert. Unterhalb des Berges ist das alte Denkmal von 1849 zu finden. Als Kolbenschlacht ging die Schlacht bei Hagelberg in die Geschichte ein: man metzelte sich aus nächster Nähe mit Gewehrkolben und Bajonetten nieder, weil das Pulver im Regen nass geworden war. Freiheit oder Tod als Losungswort.
Das war an einem heißen Augusttag. Der damals blutrot gefärbte Teich im Dorf: heute ein trüb dunkles Wasser ohne Eigenschaften.

An einer Kreuzung hinter dem Bahnhof Bad Belzig temporäre Kunst: ein Christus im Leiden und ein sündenlos Auferstehender im Angesicht Gottes.
 
Christus im Leiden und Auferstehung