Traumorte

Frühjahr 2019: nichts kommt überraschend

Anlässlich der Volksinitiativen in Bayern und seit 15.4. 2019 in Brandenburg – ohne Berlin; Berlin baut zu.
Rettet Bienen, Vögel und Schmetterlinge – stoppt das Artensterben!

Florfliegen-Traum

Traum 14./15.12.1999
ein betonbunker zwischen schlamm und steinen
kanuwanderer teilen mit: hier ensteht das paradies, es wird geflutet
ich antworte: das ist gelogen
und nenne eine unzahl insekten und pflanzen: sie werden vernichtet
vor meinen augen versinkt alles in unendlichem wasser

Diesen Traum veröffentlichte ich mit diesem Bild 2000 auf meiner nicht mehr existierenden Webseite “Traumprotokolle”. Damals real am Fenster: eine Zikade. Im Sommer sah ich weder Zikaden, noch Florfliegen. Der Rotdorn vor dem Haus entwurzelt von einem der auffälligen, neuen Stürme – seine Borke war prächtig als Unterschlupf für Insekten! Ein alter Höhlenbaum: gefällt. Jegliches Laub  hinweg gepustet, die Pflasterritzen gebrannt. Ratzbatz verschwanden Insekten, Bänderschnecken, Weinbergschnecken, der Zaunkönig, der Grünspecht, die Kleiber. Die Igel krauchten verhungert durchs Gras; der Fuchs wurde nachts leise erschossen.
Wir leben seither in 10969 trotz Grün klinisch steril wie es sich für eine Metropole gehört.

Stimmt nicht: regelmäßig kommt der Dienstleistungsbetrieb mit geschulten Schädlingsbekämpfern gegen das Rattenproblem. Sichere Arbeitsplätze im neuen Jahrtausend.


Versatzstücke

9. Januar 2018, 10 Uhr morgens.
Ich war nie hierdort. In früheren Träumen konnte ich die Versatzstücke orten. Aber hier? Orte der Orte der Traumorte? Deren Orte der Orte. Traum-lebendiger als Film oder Foto. Nicht so wie Berlin am Abend immer wie bestes Kino ist, wenn allerdings ich laufe und nicht die Kamera – aus den Autos dröhnt die “Filmmusik”. Hier liegt ein transparenter Schleier vor allem, wie von ungeputzten Fenstern oder von Nebelgrau oder mit einer prozentual niedrigen Ebenenfunktion von Photoshop. Bilder mit dem Pinsel auf chinesischen Papieren zerflossen. Die Kanten nicht von Programmen geschärft, keine erhöhten Kontraste, keine Tonwerte verbessert für den standardisierten Anblick der Natur. Nicht die Natur im künstlichen Licht, neonfarben und trashig, mit künstlichen Augen gesehen. Wahrhaftig geht anders.
Schweigen. Stille.
Ich kann greifen, pralle nicht ab an der Glätte. Tauendes Eisblumenfenster in eine bessere Welt. Sehnsucht, nicht nach Verlorenem – nach etwas anderem, an dem sonst vorbei gelebt wird.

Fenster zur Traumwelt

Nur nicht mit Menschen. Jetzt nur kein Klingeln, kein Wort aus dem von Nachtspucke verklebten Mund. Nicht in die Uckermark, wo die Sonne scheint. Bleiben dürfen. Nirgends hin wo die Selbstbestimmung mit zarten Füßen oder groben Schuhen getreten wird.
Das Leben als ein KZ für die innere Stimme.
Bitte niemals auf den Tod warten müssen in Altersheimen mit einer bis zum letzten Atemzug geregelten Zeit.
Das Menschtier will den Rhythmus von Sonne und Mond, Wind und Regen und Schnee.

Wir wandern durch dunklen, schwarzgrünen Nadelwald (na und, Fatih Akin*: die einen haben den dunklen Wald und die andern Glitter von Primarkt…). Ich wünsche ihn nicht umgebaut zu lichterem Mischwald. Das Gefühl der Sicherheit: unter tief hängenden, stachligen Zweigen auf den trockenen Nadeln liegen – ein Geschenk unter dem Weihnachtsbaum. Lichtlos. Ringsum ist Krieg. Sieht ihn jemand? Erinnert sich jemand? Allerfrüheste Kindheit… Nein, nicht diese erste Traumerinnerung vom Aufwachen irgendwo mitten im wüsten, menschenleeren Land, am Horizont scherenschnittartig Bäume und Wälder.
Nein, Erinnerung an den Dachboden. Ein Bodenfenster, verwinkelt riesig klein der Raum unter dem Holzgebälk und den Ziegeln. Ein verflogener Spatz. Eine steile Treppe zum Versteck, eine Engelstreppe wie die der Dorfkirche – nur nicht außen. Ein Herd. Mein Gott, diese Häuser waren bereits einmal alle abgebrannt. Dort bin ich nicht, dort möchte ich nie wieder sein, dort gehörte und gehöre ich nicht hin, dort waren oben Angst und unten Hass.

Wo ich heute bleiben möchte, gibt es nicht mehr als eine verwandte Gedankensprache zum **Taghaus Nachthaus, zum **Gesang der Fledermäuse.

In einem dunklen Wald. Wir gehen schnellen Schrittes. Ich will nicht folgen (folgen = lieb und artig sein?), will Atem holen, anderen als den zum Laufen.
Und da sind die anderen verschwunden auf den verschlungenen Wegen. Aber alle Wege führen zum Ziel.

Ich MUSS gar nichts.

Die Stimmen schallen durch den Wald weit. Ich rufe, rufe, rufe. Mit Stimme – oft erstirbt die im Traum – hier nicht. Aber es ist nichts mehr zu hören.
Am sonnigen Haus der Einkehr, ja: genau wie das Gutshaus von Weidmannsruh. Also doch die Versatzstücke – ich erkenne es wieder. Aber ich komme nicht zum Essen. Ich habe die andere Seite nicht gesehen, die ihr gegangen seid. Ich war nur auf der anderen Seite – alles Kafka und Kubin.
Also ich gehe. Wir treffen uns.

Traum

Einen breiten Sandweg abwärts, links von mir tief eingeschnitten und bis zur Sohle steil gemauert ein Flussbett ohne Wasser, ein Rinnsal. Absturzgefahr mit Hals- und Beinbruch. Vor mir der Bergwald mit schlossähnlichen, unbetretbaren Villenbauten an den Hängen. Dresden oder Altenbrak aus einer unauslöschlichen Erinnerung? Nicht wirklich. Steile, enge Gassen, felszackige Schlote zum Hinuntergleiten, dorthin wo sich zahllose Wege überschneiden, alles verwirren wie ein unendlicher Wollknäuelfaden.
Von rechts rauscht dunkelwellig Wasser in einem Bachbett heran. Ich will zurück. Dort ist die Brücke. Ich setze den Rucksack ab, versuche mich in den himmelblau leuchtenden Felsschlundschlot zu winden. Aber was einmal hinunter ging, geht nicht wieder hinauf. Wie alles im Leben. Einen anderen Weg suchen, einen, der nicht zurück führt.
Kleine sandsonnenwarme Häuser und Straßen. Tür- und torlos. Gehen, gehen, gehen. Ich möchte es nicht, das Zurück.

Wenn ich genau schaue durch den Schlitz fast geschlossener Augen, hat der namenlose Baumbusch vor meinem Fenster bereits kleine, grüne Knospen.
Ich werde gehen und mir aus der Gefrier-Retorte Brötchen kaufen und Leberwurst – industriell – und essen, einfach essen, essen. Natürlich schmeckt die Leberwurst nicht nach Leberwurst so ohne Mayoran, ohne Thymian oder was weiß ich: voller Arsen oder Glyphosat oder einfach nur Salz. Egal. Be Berlin.
Es ist 12 Uhr. Die Sonne strahlt. Ich bin nirgends. Für heut ist alles zu spät.
Wenn sie hier wären – der Wald, die Wiesen, das Wasser, der Wind – würde ich rausgehen, ohne fett zu werden.

Und nun dürfen sich die Traumdeuter abarbeiten.

* Fatih Akin, zum Thema “Was weiß das Kino, was wir nicht wissen”: DVD “Von Caligari zu Hitler”
**→ Olga Tokarczuk, zwei ihrer Buchtitel

Silvester bitte ohne Wölfe

Jahr für Jahr dringend

Silvester, Selfie im Zelt, 2016/17
Silvester 2016/17, Selfie im Zelt bei Biesenthal

Erinnert sich noch jemand an eine Ski-Wanderung zu Silvester durch tief verschneiten Wald und mit den Kirchenglocken aus dem Tal? Mehr gab es nicht. Dennoch ist es meine wunderbarste Silvestererinnerung. Später eine immer verschreckte Katze unterm Bett und viele Jahre Kindergeburtstagsfeiern…
Na ja, die vereinte Menschenmenge am ersten Silvester nach der Wende am Brandenburger Tor war hoffnungsvoll symbolisch auch beeindruckend.

Wer bietet Erlösung aus Glitzerrummel, knallendem Moloch, rauchiger Luftverpestung und Berliner Problem-Hochhaus?
Suche Jahr für Jahr ca. vom 25.12. – 1.1. stille, einfache Stätte in wanderbarer Gegend. Abgelegen, aber naturgesetzeskonform, überfall- und WOLFSSICHER wenigstens ein Zeltplätzchen…

 

WOLFS-NACHTRAG 12. Februar 2018

Der Mond vor meinem Fenster, 30.1.2018 5:12 h. Mit Wolf wäre es 5 vor 12...
Der Mond vor meinem Fenster, 30.1.2018 5:12 h. Mit Wolf wäre es 5 vor 12…

→ 12.2.2018 MAZ: Die Wölfe bei Steinberg – Märchen oder was???
Dazu passend meine diversen Wolfsängste beim einsamen Wandern oder gar einem Biwak im Fläming…
Nicht weit her geholt!!! Im Gränert bei Kirchmöser wurde voriges Jahr auch schon ein Wolf geortet.
Ausgepowert am Abend und verschwitzt nach einer Wanderung: ich muss nicht mal ein Wolf sein, um mich mit einem Schaf zu verwechseln… Und spät abends zur Fütterung der Wölfe in den Tierpark Kunsterspring gewandert, das werde ich auch nicht vergessen: → heulende Wölfe bereits lange im Voraus im dunklen Wald. Die üblicher Weise Motorisierten mussten es vom Tonband hören, mit dem Fleisch vor der Nase gab es die angekündigte Tierpark-Ruhe und Entspannung… Ja, es lässt sich trefflich auf dem Sofa schwärmen von Wölfen.

Eigentlich wollte ich mir folgenden Link aufsparen für einen anderen Beitrag. Nun füge ich ihn an als eine meiner absoluten Lieblingsseiten im Internet, mit seltenem und akribisch recherchiertem Wissen:
***Wolfsziegel / tuile à lupe / the Wolf-Tile***,
schwierig zu finden hinter all den Links zum Film und einigen weniger zum Buch “Der Wolfsziegel” von Jean-Marc Soyez, u.a. 1977 in buchkünstlerischer Ausgabe des Paul-List-Verlages erschienen.

Her damit, Kunst oder Leben! Wölfe von Marion Burghout, Belgien, in den Belziger Busch gestellt. Wie fest verschweißt sind sie? Im Notfall als Waffe? (Sommer-Foto, verfremdet)
Her damit, Kunst oder Leben! Im Belziger Busch die Wölfe von Marion Burghout, Belgien. Wie fest verschweißt sind sie? Im Notfall als Waffe? (Sommer-Foto, verfremdet)

 

WOLFS-NACHTRAG 4. September 2018

Wölfe in der Bücknitzer Heide

In der Eulenmühle gibt es gar keine Schafe mehr
…und der Eulenmüller hat diese Schafe gar nicht mehr

Nutztierrissen in der Agrargenossenschaft Ziesar, bei privaten Muttertierhaltungen und im Streichelzoo von Eulenmüller Otto Schmücker, dem acht Schafe gerissen wurden! Das letzte Kamerunschaf der kleinen Herde fand vor wenigen Tagen am helllichten Tag den Tod.
Dort auf der wunderschönen Wiese der einsam gelegenen → Eulenmühle ist es möglich und wollte ich im August mit meinem Enkel zelten. Hat nicht geklappt. Das wär eine nette Nacht geworden…

6.9.2018 wolfsinteressiert herumgelesen:
Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung, überarb. Aufl.1999.
Aha, Säuger leiden unter “Dichtestress” (S.571 ff).
Das berechtigt auch mich zu märkischer Wolfsangst und erklärt meinen Metropolenstress.
Um hier einen Link einzufügen, google ich: 2014 in der Schweiz zum Unwort des Jahres gewählt. “Rassistisch”. “Rechtspopulistisch”. Hätt es mir denken sollen – die Gedanken sind bei keinem Thema mehr frei.

Sehnsucht nach Natur

Nicht nur im Umland, sogar in Berlin war bis vor vier, fünf Jahren noch “wildes”, naturnahes Wandern möglich.

Berliner Mauerstreifen 2006

In der Nähe meines Hochhauses: der geografische Mittelpunkt von Berlin, nicht weit der ehemalige Mauerstreifen. Von hier nach Nord, Süd, Ost, West immer ca. 20 km. Seit dem Fall der Mauer waren in alle Richtungen immer naturnahe, sogar wilde Pfade zu finden.

Berliner Mauerstreifen 2006, Foto K.Brandler

20 Jahre danach: Bauboom, Suburbanisierung (Elisabeth-Aue), angeblich attraktive, aber nur phantasielose Flaniermeilen, Spielplätze, Aktivparks, Freizeit- und Sportanlagen “werten auf”. Letztlich bleibt Nullachtfünfzehn, Biodiversität zerstörend. Totgepflegt oder dreckig.

Berliner Mauerstreifen 2006, Foto K.Brandler

Auf dem Mauerstreifen zwischen Alter Jakobsstraße und Moritzplatz in Berlin (Fotos von 2006) lebten für eine Metropole untypisch Karnickel und im hohen Gras Schnepfen. Füchse sorgten neben den Igeln für das Dezimieren der Ratten. Gegen die sind Kammerjäger inzwischen machtlos.
Bin ich nostalgisch oder noch schlimmer?

Berliner Mauerstreifen 2006, Foto K.Brandler
 
Nicht nur der wilde Berliner Mauerstreifen ist verschwunden. Anderes hat Priorität. Sehnsucht nach Natur ist auf Augenhöhe nicht mehr zu stillen, also nur noch per Bahn in die Mark Brandenburg…

zur Gesamtansicht
Mauerstreifen 10.11.2017

Auch dort enorme Veränderungen im Speckgürtel: selten nur noch ein verfallenes, verfallendes einsames Grundstück, mit Streuobstwiese schon gar nicht mehr. Leben mit Natur hat seinen Preis und die Natur hat ihn oft genug auch entrichtet.

Völkerwanderung der Heiden von Kummerow

Pressefotograf Angermünde?

Völkerwanderung nach Ehm Welks „Heiden von Kummerow“ durchs Land der Heiden: an einem heißen Augusttag von Kummerow (Biesenbrow) nach Randemünde (Angermünde), rund 17 km.
Die Wanderer folgen den Jungen von Biesenbrow und der Pastorentochter Ulrike Breithaupt durchs Bruch, über Hügel und Felder. Auf dem Marktplatz von “Randemünde” findet das Heidendöpen in der Waschschüssel statt (auf dem Pressefoto, veröffentlicht in einer Lokalztg., war es wohl 2008?). Wer hält am längsten im kalten Wasser aus?

Der Kanstein

Kanstein im Ohmgebirge
 
2008 einige Tage ein Wiedersehen des Ohmgebirges, von Kalkbuchenwäldern bewachsen.
Dort ist mir als Kind das Wandern ins Blut gegangen: während meiner Schulferien täglich vormittags und nachmittags durch Feld und Wald des Eichsfeldes und jeden Abend zum Sonnenuntergang noch einmal auf den Bornberg (529,7 m) des Ohmgebirges. Der Bornberg war damals eine unberührte Kalkmagerrasenfläche, unvergesslich seine Gräser und Blumen. Später wurde es eine eintönige Ackerfläche und unterhalb war einer der überall üblichen Sportplätze angelegt – mit sich selbst kann niemand mehr ausreichend anfangen… Der Kanstein, nordwestlich von Worbis, hat sich dagegen nicht verändert: eine 435,5 m hohe Felswand aus Muschelkalk.

Schadstoffunfall

Karla Brandler unterstützte die Einsatzkräfte der Feuerwehren bei der Ölbeseitigung am Weststrand. Foto: Marco Schwarz, 2007

Der erste komplexe Schadstoffunfall am 18.05./19.05.2007: Klebrige braune Klumpen entlang der Küste bei Dierhagen und dem Darß auf einer Länge von etwa 10 km angespült!
Etwa 150 m³ klebrige schwarzbraune Klumpen, wurden aufgenommen und entsorgt.
Die Herkunft der Verschmutzung blieb ungeklärt. Es wiederholte sich solcher Fall bereits 2014.
Generell handelt es sich bei diesen Stoffen um in Tankern transportierte Produkte, die sich kaum in Wasser lösen und auf dem Wasser schwimmen („Floater“). Die für Teer typischen Inhaltsstoffe wurden in den chemischen Analysen nicht festgestellt.
Was als klebrige braune Klumpen übrig geblieben ist, besteht aus Fetten und anderen „petrolether-extrahierbaren Stoffen“, vermischt mit Sand und Verunreinigungen. Bei der Anlandung an Küsten müssen Strände gesperrt werden und es entstehen hohe Kosten für die Reinigung von diesem chemischen Abfall. Der Befund wurde später als nicht gesundheitsgefährdend eingestuft. Die Klamotten müssen aber entsorgt werden – das teerige Zeug ist nicht zu entfernen.
Ein generelles Verbot der Einleitungen solcher aufschwimmender Stoffe in Nord- und Ostsee ist unbedingt notwendig, kann jedoch nur durch internationale Vereinbarungen und Vorschriften erreicht werden.

1991, Portbou / katalanische Pyrenäen

Portbou

Als ich noch ohne Apparate wanderte.

Von Perpignan aus kommend, der Grenzbahnhof Portbou nach Spanien: hier verweigerte die Franco-Polizei Walter Benjamin am 25.September 1940 die Einreise. Die Nacht vor seiner Abschiebung verbrachte er in einem kleinen Hotel. Dort wurde Benjamin am anderen Morgen tot aufgefunden.
1991 kannte in Portbou niemand auch nur den Namen Walter Benjamin. Nichts von der Geschichte des Grenzbahnhofs war zu erfahren. Der Friedhof mit seinem kleinen Kolumbarium lag einsam. Den atemberaubenden Blick, steil hinunter zum Meer, werde ich nie vergessen. Am Himmel war ein Regenbogen zu sehen.
Kurz darauf musste ich mir mein Bild malen.

1994 las ich von der Einweihung des „Passagen“-Monumentes auf dem Friedhof, dort wo jeder Blick wie gebannt war vom Eindruck einer gefährlich schönen, sprechenden Natur.
Es sind die gelesenen Werke Walter Benjamins, die ihn unvergesslich machen und den Ort heiligen. Das Monument ist zuallererst ein Kunstwerk von Dani Karavan.
Auch Thomas Müntzer mit seinem Bauernheer bekam Denkmäler. Und doch steht für mich weitaus intensiver der kahle Berg der Schlacht bei Frankenhausen (1525) vor Augen mit dem damaligen Regenbogen (mag er wahr oder ein Mythos sein).
Jeglicher Denkmalgedanke hat seine Tücken.

Sächsische Schweiz

Sebnitz, ca. 1979
Sebnitz, Kinderzeichnung ca. 1979

Sebnitz, ein wunderbarer Ausgangspunkt für Wanderungen in der Sächsischen Schweiz. Mitten durch das Städtchen führt tief in das Felsgestein geschnitten der Bach Sebnitz. 2010 stieg sein Hochwasser unvorstellbar und überschwemmte die Stadt bis zum Markt hin.

Elbsandsteingebirge
Elbsandsteingebirge, Kinderzeichnung ca. 1979

Die Sächsische Schweiz ist sicher die beeindruckendste Landschaft, die wir in Ostdeutschland – also der abgesperrten DDR – hatten. Dort zu wandern ist bester Ersatz für jegliche Sehnsucht nach Afrika oder Amerika (Karl May lässt grüßen…). Dass ein Kind die horizontalen, oft ganz gelben Sandsteinablagerungen allerdings als “Scheiblettenkäse” bezeichnen konnte, lag wohl weniger an der Versorgung aus Konsum oder HO, sondern an netten “Westpaketen”. Jenseits der Erinnerung: gab es um 1980 überhaupt Scheiblettenkäse in der DDR? Vielleicht doch, denn höchst beliebt war “Karlsbader Schnitte”, Brot mit Käse überbacken, die opulente Gaststätten-Variante zum häuslichen “Armen Ritter” oder gebratener Schnitte mit Knoblauchzehe bestrichen.

Vereiste, abschüssige Brücke mit Metallgitter im Kirnitzschtal
Vereiste, abschüssige Brücke mit Metallgitter im Kirnitzschtal, Kinderzeichnung ca. 1979

Dass die Sächsische Schweiz durchaus Gefahren birgt, haben wir eindrücklich erlebt. Der breite, damals sandige Weg entlang der Kirnitzsch (heute so weit ich weiß, versiegelt) war eine einzige, abschüssige Eisfläche zwischen Fels und Brückengeländer zum mehrere Meter tiefer liegenden Fluss. Und das eiserne und eisig kalte Brückengeländer eben ein Geländer zum Festhalten in Höhe der Arme, aber zum problemlosen Durchrutschen. Es war die ureigene, sportliche Höchstleistung und der Überlebenswille meiner Tochter, sich dort sofort wieder hochzuhangeln. Schnelle Hilfe war unmöglich.
Ein zweites Mal: mitten in der Nacht mit zwei Kindern verlaufen. Ein einsames Forsthaus – der Förster hat uns nachts mit dem Auto nach Sebnitz gefahren.
Ich liebe die Sächsische Schweiz bis heute!
Zeitweise fuhr in der Sommersaison ein durchgehender Zug von Berlin aus. Sogar in noch früheren Zeiten gehörten die Sächsische Schweiz bis hin zum Riesengebirge zu den Ausflugszielen der Berliner.
Traurige Zeiten des öffentlichen Verkehrs im 21. Jahrhundert, aber viel Gerede um Klimaabkommen…

Tilleda

Tilleda 1967
Ausgrabungsort Tilleda und Kyffhäuser-Denkmal 1967

Es gibt nichts Schöneres als zufällig eine Uralt-Erinnerung auszugraben! Richtig ausgraben: erst seit 1958 gab es nach ersten Versuchen wieder Untersuchungen zur Königspfalz auf dem Pfingstberg unterhalb des Kyffhäusers/Thüringen. Im Sommer 1967 gab es ein Ausgrabungspraktikum der Leipziger Uni zur Vor- und Frühgeschichte auf dem Gelände der Pfalz Tilleda. Inzwischen ist es die einzige vollständig ausgegrabene Pfalz in Deutschland und eine Station an der Straße der Romanik.

Hierhin führten auch Ferien-, Schul- und Sport-Wanderungen nach 1961 (das Eichsfeld als mein Ferienparadies war unerreichbares Grenzgebiet geworden): Tagesausflüge zur Hainleite, bis Kyffhäuser, Harz und etwas ausgedehnter in den Thüringer Wald. Nichts gab es, was nicht geologisch, archäologisch oder historisch von Interesse gewesen wäre, mehr noch: es formte und bildete dort die Menschen. Ich weiß nicht, ob die Globalisierung und das Segeln auf allen Meeren der Welt, das gleiche Glück bringen.

Das heutige Freilichtmuseum Tilleda bietet für Besucher als Event “Geschichts-Rally als unterhaltsamere Führung über die Königspfalz”, “Archäologie live”, “Mittelalterliche Bautechnik” etc. und als Höhepunkt ein alljährliches „Ritterfest“ im Juli. Wenn ich “mein” Bergwaldprojekt als durchaus vergleichbar lehrreich und unterhaltsam anpreise, ernte ich mehrheitlich Kopfschütteln. Vielleicht würde das Interesse sprunghaft ansteigen, wenn dafür bezahlt werden müsste (à la Tom Sawyer beim Zaun streichen). Auch die 100 Kilometermärsche vom Wandersportverein Rotation Berlin für 2 bis 5 Euro verzeichnen weniger Zulauf zumindest aus der Generation Facebook etc. als der über 50 Euro teure “Mammutmarsch”