Pilgern und stolpern

16.11.2018 ca. 20 km von Jacobsdorf nach Sieversdorf und Klostermühle gepilgert, nach Briesen am nicht mehr begehbaren östlichen Ufer des Petersdorfer Sees gestolpert und geklettert

Im Odervorland: Jacobsdorf und die WKA

Nach drei oder vier Jahren (wie die Zeit vergeht…) möchte ich am Petersdorfer See nach den Baumfällungen der Biber gucken. Warum nicht auch im großen Bogen über Sieversdorf pilgern… Der Unterschied zu meiner Art des Wanderns dürfte gering sein.

Jacobsdorf, Mark
Jacobsdorf, Mark

An der Kirche Jacobsdorf eine herzliche Einladung zur Besichtigung. Aha: der Herr Pfarrer. Ist ziemlich neu hier in seiner schlichten Kirche. Ziemlich jung und irgendwie verschmitzt sympathisch ebenfalls. Ich frage mich wie sich seine Predigten in diesem 21. Jahrtausend anhören – vielleicht sogar mit lutherischem Humor, sicher etwas weniger deftig und heftig.

Kirche in Jacobsdorf am Pilgerweg
Kirche in Jacobsdorf, an der Südroute des Pilgerweges Frankfurt/Oder – Fürstenwalde

Leuchtend schön die farbige Verglasung der drei wehrhaft schmalen Fenster in der Ostwand.
Die karge Innenausstattung nach der Kriegszerstörung und dem Wiederaufbau ganz im Stil der Kirchenkunst um 1960, anknüpfend an expressionistisch bis kubistische, figürliche Vereinfachung. Doch der betsaalähnlichen Einfachheit ist anzumerken: sie ist ein Fremdkörper in dem ganz dörflichen, sorgfältig gefugten Feldsteinquaderbau  des frühen 13. Jahrhunderts. Ich sehe den Raum geschmückt mit einem Altarbild wie in Gelliehausen* vor mir. Aber das ist eben viel Phantasie. Und wie entsteht innere Stille?

Der Windpark und sein Abfall
Ein Hauch von Windpark

Am Ortsausgang beginnt der Windpark Odervorland. Angepriesen als sauberste Energiequelle des Landes Brandenburg. Mit „Repowering“ im Frühjahr 2017. Weitere 7 WKA sind geplant. Das gleichmäßige Sausen der Rotorblätter erinnert an Autobahn. Noch schlimmer: für das Recycling von zerstörten Turmrohren – eine gesetzliche Pflichtaufgabe für die Eigentümer – fühlt sich wohl niemand in der Lage.

Hinter dem Wind
Hinter dem Wind

Vor Eiswurf wird gewarnt: im Schatten von Türmen und Wald liegt bereits Raureif. Das Mikroklima wird deutlich beeinflusst. Nichts ist so eindeutig umweltverträglich, dass es unseren alltäglichen Ressourcenverbrauch entschuldigen könnte.

Pilgern nach Sieversdorf

In den Wiesen am Goldnen Fließ
In den Wiesen am Goldnen Fließ eleganter Baumbruch

Das Betreten der Windparkflächen: verboten. Ich biege aus Vorsicht und simpel denkend falsch ab an Wegweisern, die nach rechts ausgerichtet sind, aber den Pfeil nach links haben. Vorbei an Hügelgräbern oder vergessenen Kriegsgräbern – wahrscheinlich beidem – führt der Weg weit in den Frankfurter Stadtwald bis ich weiß: in dieser Richtung komme ich hier niemals raus.

Die Steine im Wald - langweilend für die einen...
Überall Steine im Wald und auf meinen Fotos – langweilend für die einen…
...für die anderen ein Rätsel der Natur
…für die anderen ewige Rätsel, manchmal auch nur deutliche Reste früherer Steinschlägerei**

Nordwestlich muss ich wieder das Goldene Fließ erreichen. Streckenweise vertrocknet, kann ich an vielen Stellen überspringen. Vorher eine alte Hausstelle – romantisch verfallen. Endlich auch unbestellte Felder – allerdings ohne die mir in Erinnerung gebliebenen, bearbeiteten und unbearbeiteten Feuersteinreste. Knochen en masse. Ich stapfe in das jetzt nahe Sieversdorf durch den Duft von überall blühender Kamille.

Der Ansitz hinter dem begradigten Goldenen Fließ
Der Ansitz gegenüber von meinem Sprung über das begradigte Goldene Fließ

Sieversdorf wirkt ausgestorben. Freundlich wird mir letztendlich doch die Kirche aufgeschlossen. Sieversdorf ist auf Pilger und – ich sehe und hab es gesehen auf meinem Pilgergang – auf Jäger eingestellt. Gerade wurde beim Hubertusgottesdienst der Segen dafür geholt.

Calvaria
Calvaria. Profitabel entsorgt oder wie sich alles gut fügt für den Fuchs. “Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.” (Mt 25,40)

Auffällig und besonders reizvoll in dem Kirchlein die Harmonie der ungewöhnlichen Farbzusammenstellung in der Apsis, dazu ein zartes Blaugrün der hölzernen Einbauten. Kurz überlege ich, die Treppe zur Orgelempore hinauf zu steigen. Im Eingangsbereich sieht es kirchenprivat aus – ich verzichte. Dumm, ich hatte doch gelesen: dort oben sind Reste mittelalterlicher Wandmalerei.

Cronos - der Todesengel
Hoch über den Köpfen der Gemeinde erhebt Cronos  seine Sichel – ein Engel sehr wohl: nur leicht den Menschen haltend mit der Linken

Auf dem Friedhof: die Ruhestätte der Familie von Bredow aus dem Hause → Friesack. Die hatte ich nun gar nicht erwartet, obwohl das berühmte Adelsgeschlecht höchst verbreitet in Brandenburg war.

Landschaft bei Sieversdorf
Die Landschaft bei Sieversdorf – unendliche Felder in alle Richtungen

Es ist bereits weit nach Mittag. Mit zügigem Schritt jetzt durch Felder und Wald. Nicht zu vergessen: einen Parasol, einen Tintling und drei süßsaftige Äpfel habe ich inzwischen im Rucksack. Was für rote Früchte dort am Baum hängen, weiß ich nicht, fühlen sich um diese Jahreszeit immer noch steinhart an.

Stolpern am östlichen Ufer vom Petersdorfer See

Klostergut und klappernde Klostermühle kenne ich: geeignet nur für kräftig zahlende Besucher. Ich steige gleich in den mit Radständern verbarrikadierten Weg östlich des Petersdorfer Sees ein. Erkennbar ist er noch, jetzt eher ein vom Wildschwein gespurter Pfad mit sumpfigen Löchern, Abbrüchen, vom Biber und vom angestiegenen Wasser gefällten Bäumen.

Biberfraß am Petersdorfer See
Biberfraß am Petersdorfer See

Irgendwann muss ich mich am Steilhang hochziehen, um nicht im Sumpf zu landen. Wieder ein schmaler Pfad. Die Sonne geht gleißend langsam unter. So breit habe ich den Petersdorfer See nicht in Erinnerung. Noch einmal nach unten und haarscharf am oder mit halbem Fuß im Sumpf vorbei. Zum Fotografieren im Wasser ein bizarrer Baum nach dem andern. Ich hätte längst weiter sein müssen. Am Horizont immer noch See, erst dort geht es direkt hoch zu Schule und Bahnhof.

Petersdorfer Gespensterwasser
Petersdorfer Wasserschreck

Ich werde nervös. Noch ein sumpfiges Risiko kann ich nicht eingehen, schlage mich zur asphaltierten Straße durch – ätzend gerade. Kurz vor Vier und kurz vorm Dunkelwerden bin ich in Briesen.

Petersdorfer See vor Sonnenuntergang
Petersdorfer See vor Sonnenuntergang

Briesen 2012, Klassenfahrt

Deprimierend das Kaff, sagt am Bahnhof eine Pilgerin zur anderen. Ich schließe jedenfalls aus ihren Worten, dass sie beide der heut morgen vom Pfarrer gesegneten Gruppe angehörten; eine elektrische Zahnbürste beginnt auf Rucksackdruck zu surren. Abgekürzt werden sie von Alt-Madlitz gekommen sein.
So unterschiedlich ist das Erleben und das Fazit also sogar beim Pilgern. Allerdings reichen meine Gedanken auch noch bis 2012 zurück mit aller- allerbesten Erinnerungen an viele Kinder und viele andere aus Briesen.

*→ Altarbild in der niedersächsischen Gemeinde Gelliehausen; vorstellbar ist für mich auch eine Wandmalerei. Meditieren über die “Farbe” Weiß in unserer Zeit – in Abwandlung viel zitierter Zweifel: …nach Hiroshima und Nagasaki

** dazu auch die Wanderung durch das → Booßener Gehege vom 25.10.2018

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