Adonisröschen und Bahntrassen

30. März 2019, ungeplantes Solo zu zweit: schaun wir mal an den Pontischen Hängen, ob die Adonisröschen blühen. In voller Schönheit! Dann eine Runde Lebus und bis Rosengarten mehrfach auf altem Gleisbett.

Das Odertal nördlich von Frankfurt/Oder

Durch die Auen, nicht auf Asphalt.

Bäume im Odertal

Borke der Silberweide

Silberweiden (Salix alba) zunächst als junge Kopfweiden, am Ende gespenstergleich, gequält von ständig brutalen Schnitten, knollig flehend. Letztes, wütendes Aufgebot mit neuen Spieß-Trieben.

Die Rinde der Weide enthält das schmerzlindernde und fiebersenkende Salicin: als würde der hoffnungslose Kampf gegen Krankheit und Tod in der tief gefurchten Borke zu sehen sein .

Zwischen Frankfurt und Lebus wären auch slawische Burgwälle zu finden. Unvorbereitet erinnere ich mich nicht an deren Lage. Die bewaldeten Hänge westlich der Oder sind jetzt nicht mehr zu erreichen. Aber der Schilfgürtel nach Osten sieht ausgetrocknet aus, dahinter ebenfalls viel versprechender Wald. Neugier bringt oft Ergebnisse.

Schilfgürtel
Hier nicht. Nur die alte Oder, vorgelagert der Strom-Oder…

die alte Oder
Also weiter bis der Wiesenweg an einer schmalen Stelle über ein Fließ abbiegt zu den verbuschten Moränenhügeln.

Odertal

Adonisröschen an den Pontischen Hängen

Noch vor zwanzig Jahren galt die Blütezeit der Adonisröschen von Ende April bis Anfang Mai. Heute leuchten schon von weit her die Blüten an den Trockenhängen.

Adonisröschen

Pontische Hänge mit Adonisröschen

Hang mit Adonisröschen

Adonisröschen
Unverwechselbar unterschieden zu der goldgelben Steppenpflanze auf dem grau wirkenden Trockenrasen blühen im satten Grün Scharbockskraut und gelbe Sternblumen – vergleichsweise miniklein. Veilchen in dunkel- und hellblau, weiß.

Mittagszeit. Ein Kaffee ist in Lebus nirgends zu haben. Wir entscheiden uns ohne Priesterschlucht und ohne Reitwein für eine Rückwegs-Erkundungstour nach Rosengarten. Eine unserer Fahrkarten gilt sowieso nur auf der Frankfurter Strecke.
Erst einmal eine Günter-Eich-Straße bergauf zum Friedhof und der deutschen Kriegsgräbergedenkstätte, die sowjetische am anderen Ende der Straße.***

Lebus

die Oder

Lebus, Kirche

Oder, mein Fluß,
in Tropfen sickert es
aus Gebirgen von Zeit,
Wasser, das nach Kindheit schmeckt.
Oder, mein Fluss,
eine Breite, um Holüber zu rufen,
ein November für Regen.
Schleier, über die Rübenäcker gezogen,
nicht unterscheidbar Wiesenufer und Bergufer,
Stimmen auf Buhnen und Treidelweg,
bei den strähnigen Weiden und Schilfrohr,
Glocken aus Frankfurt
und die Sagen der Reitweiner Berge,
die Fähre in Lebus
und das Haus rechts der Oder, wo ich
geboren bin.

Günter Eich 1907 – 1972, in Lebus geboren

Lebus, Burg

Am rechten Ufer steht nicht allzu viel. Dass Lebus aber nicht nur das kleine Städtchen um Kirche und Burgberg ist, ahnten wir nicht. Unendlich zersiedelt, zwischen keinem Siedlungshaus auch nur ein halber Meter frei gelassen in die freie Natur. Verwinkelte Sack-Wege – der historische Begriff Sackgasse verbietet sich angesichts der aneinandergereihten, piefigen Vorgärtchenkultur.

Auf Bahntrassen

Wir weichen auf ein altes Gleisbett aus. Die ätzende Eintönigkeit von Bahntrassen ist nicht zu leugnen. Eine Überraschung gelingt: der Frühling begleitet mit dem betäubenden Duft der Veilchen.

Eisenbahnbruecke

Nach langer Langeweile Stop. Tief unten fließt etwas. Mir ist in der Gegend kein Fluß bekannt. Wagehalsig ginge es zur Not über diesen mächtigen Viadukt. Aber ich hab das Trauma aus der Kindheit: Eisenbahnbrücke mit fehlenden Schwellen über die Unstrut. Unten ist ein Weg in Sicht.

Eisenbahnbruecke

Eisenbahnbruecke

Digital wird der Mühlengraben genannt. Den hab ich nicht als Fluss im Gedächtnis gespeichert und versumpft in Erinnerung. Auch würde ich nicht nach rückwärts links abbiegen, sondern westwärts vorwärts. Nun, wir sind zu zweit. Erkundung meint nicht immer wegelos und schon gar nicht die Suche nach Wegen. Der Stimme aus dem Nirgendwo habe ich nichts Beweiskräftiges entgegen zu setzen.

Aber im Nachhinein: die richtige Art des Wanderns bleibt für mich jenseits vorgegebener Routen. Mag sein, dass an “verlorenen Orten” manchmal die Zweifel von einer digitalen Führungsstimme ausgeräumt werden. In der Regel ist die Lenkung für den Fußwanderer nichts als einfallslos. Kleine Pfade, viele abenteuerliche Möglichkeiten bleiben unerkannt. Den Bullen auf dem Weideweg sieht die Stimme schon gar nicht.

Siehe da, wir geraten am Zusammenfluss von Altzeschdorfer und Booßener Mühlengraben wieder auf eine Bahntrasse, obwohl es nicht die gleiche wie über die Brücke sein kann.

Aktuell fließt so gut wie nichts mehr. Oder genauer gesagt: mehr als zu anderen Zeiten und an anderer Stelle mit ziemlicher Strömung. Millimeter noch, dann ist der Weg weg…

drohende Ueberschwemmung

Berghang bei Wüste-Kunersdorf

Wir stehen am Berg. Es duftet nach Almwiese, dort immer weiter westwärts. Doch ich beuge mich der eigenartig anderen Richtung – vom Booßener Wald ist gleich nichts mehr in der Ferne zu sehen.
Quer übers Feld, dann ein tief liegendes Gleisdreieck, das die beiden unterschiedlichen Strecken erklärt. Nachgelesen: es müsste eine Bahnstrecke Küstrin-Kietz über Lebus nach Frankfurt gewesen sein, seit 1996 stillgelegt und 2006 erst die Schienen demontiert. Ja, der Beton an den Strecken sah nicht alt aus. Die zweite Strecke dürfte “Grube Vaterland” (gewesen) sein.
Wir marschieren zur Straße. Dort stoßen wir auf die vertrauensvoll angepeilte Komoot-Route.


Omma versteht weder Welt noch Weg. Sind wir richtig? Immerhin Kliestow. Da war ich noch nie. Wieder ein toller Viadukt – was für ein Aufwand für diese einstigen Nebenstrecken!  Das tiefe Tal des Schlossparkes (das Schloss als Ruinensilhouette), Straße, Feld. Ein runder Hügel im flachen Land. Eine Motte! Mit Ring, Graben, Einfahrt von Osten. Ich krauche begeistert im Gebüsch. Nur meine Aufzeichnungen zu Haus bestätigen es nicht. Diese eindeutig künstliche Hügelformation am Kleinen Kliestower See ist nicht der erwiesene Burgwall nordöstlich von Kliestow. Eigenartig – wie eine Abraumhalde von einem der einstigen Kohlebergwerke dieser Gegend sieht es auch nicht aus.

Rätsel der Vergangenheit bei Kliestow

Omma nervt mit erneuten Zweifeln am Weg. Zwei Bahnbrücken.

Kulturhaus Völkerfreundschaft, Deutsche Reichsbahn

An der Straße Birnbaumsmühle: das “Kulturhaus Völkerfreundschaft” 1952-1954 für die Deutsche Reichsbahn erbaut.  Wir ziehen zunächst Architektur des dritten Reiches in Betracht…

Straße durch die Nuhnen-Vorstadt, vorbei an einer Stasi-Aufarbeitungszentrale (riesig, sicher sicherer Arbeitgeber in der Sicherheitsnachfolge), eine gesprengte Bahnbrücke – ja, sieht auch aus wie vor- und frühgeschichtlicher Hügel. Chaussee bis zu einer Kreuzung in den Booßener Wald – da ist er also. Wir müssen links nach Rosengarten. Stolpern besser übers Feld als unter Räder zu kommen.

Erratischer Block

Zwillingsstein, Rosengarten

Am Ortseingang Rosengarten noch eine Entdeckung: durch Frostsprengung zweigeteilter “Zwillingsstein”. Ablage in der Weichseleiszeit vor ca. 18 800 Jahren, grobkörniger bis porphyrischer Granit mit Gneisxenolithen. Ca. 70 Tonnen, in der Liste der größten Findlinge Brandenburgs auf Platz 18 (3,65 x 4,85, ca. 2,50 m tief).

Und im Kopf hab ich jetzt eine wunderbare Wanderstrecke per pedes: anders entlang…

***zu Kriegsgräber-Gedenkstätten auf einer → Extraseite

2 Kommentare zu “Adonisröschen und Bahntrassen

  1. „Die ätzende Eintönigkeit von Bahntrassen ist nicht zu leugnen.“ Aus einer zufälligen Begegnung mit *einem* alten bahndamm so ein Pauschal-(Vor-)Urteil abzuleiten, ist schon sehr gewagt!

    • Was dem einen sin Uhl ist dem andern sin Nachtigall

      Den und die Liebhaber der alten Bahntradition verweise ich auf die Wanderungen des WSV Rotation Berlin „Auf alten Bahndämmen“ unter bahndammwanderung.de, da ist allerdings gerade eine Änderung in Arbeit…

      Wer Gefallen an meiner Art des Fuß-Wanderns findet, dürfte selten von Bahndämmen angetan sein. Bei Sonne ätzt es nicht nur die Seele, sondern ätzt auch die Haut weg. Als „nicht ätzend“ erinnere ich einzig und allein eine überwucherte Teilstrecke Bad Freienwalde – Bralitz. Das Stück ist mitsamt den Apfel- und Birnbäumen längst beseitigt.
      Ebenso hat für mich als Fußwanderin aber auch die flächendeckende Asphaltierung in der Niederlausitz keinerlei Reiz. Gift für die Knochen ist beides. Ich weiß mich mit dieser Meinung durchaus nicht allein.

      Aber Weihnachten, ja Weihnachten, da lässt sogar die Bahndammhasserin gern das Bähnle durch den Tunnel fahren… ;))

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