Paradies durchschnitten

7. Sept. 2019, an einem regnerischen Tag ca. 14 km von Frankfurt (Oder) nach Tzschetzschnow-Güldendorf und einmal drum herum*

Richtung Tzschetzschnow

Frankfurt (O), einst reiche Handelsstadt und mit Unterbrechung Universitätsstadt seit 1506: kaum mehr einem Haus ist das Alter am Stein anzusehen, nicht aus wieviel Trümmern die Stadt wiedererstanden ist. Am Bahnhof ein Schwenk nach rechts, dann begleitet die Bilderbuchpracht lange auf dem Weg nach dem eingemeindeten Tzschetzschnow-Güldendorf.

Frankfurt Oder, Lindenstraße
Eigentlich Lindenstraße, aber auch von der Gubener Straße aus sichtbar: das “Türmchenhaus” von 1785. Es diente Peter Imanuel Hartmann (1727–1791), Professor für Pathologie, Therapie, Chemie, Botanik und mit Interesse für Astronomie, als Sternwarte: der allerersten in Frankfurt.

Frankfurt (O)
Am Buschmühlenweg reihen sich vor allem Villen, sanierte, repräsentative Mietshäuser (auf der Gubener noch bezahlbar) dicht aneinander.

Frankfurt (O)
Eine seltene Erinnerung die beiden Ruinen, kurz nach 1870 errichtet. Viele Villen stammen aus diesen Gründerjahren.

Frankfurt Oder, Villen Buschmühlenweg

Im Hintergrund dieser Vorzeigearchitektur begleitet ein steiler Hang den langen, geraden Rad-Wanderweg Richtung Tzschetzschnow.

Frankfurt Oder
Ich bin neugierig auf dieses überall verschlossene → Waldgeheimnis.

Frankfurt (O)
Nach rechts und links müsste da oben nicht nur ein Blick möglich sein, auch ein Weg ins “Mühlental” von Tzschetzschnow-Güldendorf. Aber die erste von nur zwei Möglichkeiten: “Treppenschäden. Brücke gesperrt.” Treppe egal. Was für eine Brücke?

Frankfurt (O)
Mit Lärmschutzwand auf der gegenüberliegenden Seite, mit Fahrradweg und ausgebauten Straßen diesseitig hat sich der Übergang wohl für immer erledigt.

Frankfurt (O)

Zu sehen: am Mühlenweg (richtig, richtig…) der Wasserturm von 1874. Im Wassertank wurde 1978 ein Planetarium eingerichtet.

Frankfurt (O)
Alles Gute liegt in weiter Ferne. Auch die südlichere “Schöne Aussicht”. Die Stufen weisen einen vegessenen Verbindungsweg. Risiko heut bitte nicht, also zurück.

Frankfurt (O)

Hinter der Eisenbahnbrücke zweigt “Am Zwickel” ab. Um ins Mühlental zu kommen und über den Mühlenberg nach Tzschetzschnow, wäre das richtig gewesen.***

Frankfurt (O)

Ich bin ohne Karte, möchte weder im weitläufigen Neubaugebiet Neuberesinchen landen, noch rückwärts laufen, obwohl einer der gerühmten Bäche von Tzschetzschnow sich verlockend staut.

Frankfurt (O)

Tzschetzschnow im Zwickel

Tzschetzschnow – Güldendorf
Tzschetzschnow – Güldendorf: die Pforte zum Paradies?

Nächster Abzweig: Seestraße, durch den Tunnel, dann  die Pferdegasse auf der Suche nach irgendetwas vom ursprünglich sorbischen Dorf und noch einmal nach → der Tzschetzschnower Schweiz.

Tzschetzschnow – Güldendorf, der Mühlberg
Das Hochplateau Müllerberg

Vom Müllerberg aus ringsum kahle Fläche: Einheitsacker bis zur Baumgrenze vom Mühlental.

Tzschetzschnow wird zu Güldendorf
Pferdeweg. Tzschetzschnow ist sichtlich zu Güldendorf geworden

Das ausgewiesene Landschaftsschutzgebiet schrammt in diesem Zipfel wohl gerade grenzwertig vorbei.

Güldenddorf, der Ehrenfriedhof
Güldendorf, der Ehrenfriedhof, 1975 angelegt

HIER RUHEN ÜBER TAUSEND BÜRGER EUROPÄISCHER VÖLKER ZU TODE GESCHUNDEN IN ZWANGSARBEIT DURCH DIE FASCHISTISCHE BARBAREI IN DEN JAHREN 1939 – 1945

Güldenddorf, Autobahnbrücke
Güldendorf, Autobahnbrücke

Um Tzschetzschnow-Güldendorf ist alles Zipfel, aber alles auch zumindest aus Sichtweite, was die Naherholung stören könnte.

Güldendorfer Seeterrasse
Güldendorfer Seeterrasse, im Hintergrund Felder mit der jetzt von der Autobahn zerschnittenen Güldendorfer Straße nach Frankfurt

Die Seeterrassen auf der Ansicht von 1913 – noch aus der Tzschetzschnower Zeit. Neues Hoffen, ähnliches Ziel aktuell für das zuckergussfeine Gebäude.

Tzschetzschnow, Kirche
Markant auf einem Hügel die frühgotische Kirche auf Findlingen erbaut, ca. 2. H. 13. Jh.

Vielleicht finde ich 2019 sogar mehr ursprüngliche Natur als mir der Ort 1913 geboten hätte. Zumindest Pflaumen schon hier.

Tzschetzschnow, hinter dem See
Hinter dem See ein Urwald

Der Wanderweg “Tzschetzschnower Schweiz” am hohen Südufer des Sees: kleine Häuser säumen den Hang, manche Vorgärten mit dem Charme alter Bauerngärten, ab und zu ein altes Stallgebäude – kein Reichtum. Die Paradiese liegen immer nur in unserer Kindheit.

Tzschetzschnow - Güldendorf, Richtung Frankfurt
Tzschetzschnow – Güldendorf, zerschnitten und zerhackt

Der Märkische Naturgarten

Wer die angriffige Geste als Einladung interpretiert, wer die engen Grenzen nicht kennt und mit eigenem, kleinen Wuchs den Überblick zwischen Berg und Tal verliert, der findet auf den verschlungenen Pfaden im Märkischen Naturgarten sein Paradies.

Märkischer Naturgarten
1926 mit einem Baumpflanztag der Kinder von Tzschetzschnow begründet, zerhackt und zerschnitten für den Krieg (der Wald, die Kinder oft genug auch) und in Nachkriegs-Notzeiten, bestimmen gegenwärtig Robinien und Efeu den Forst.

Märkischer Naturgarten, Plan

Immer sind die ausgewiesenen Schutzgebiete zu klein bemessen. Wie hier später gezwackt und geschnitten wurde, ist andeutungsweise zu sehen, manchmal zu hören.

Märkischer Naturgarten
Pfuhl ohne Bach. Der ist ausgetrocknet. Die Hitzejahre allein haben das nicht verschuldet.

Märkischer Naturgarten
Das Profil des Naturgartens ist auf engstem Raum so zerklüftet, dass die Einkesselung vergessen wird.

Märkischer Naturgarten
Manchmal wird das Auf und Ab als Tzschetzschnower Schweiz bezeichnet.

Märkischer Naturgarten
Ich registriere den Park als Möglichkeit, mit wackelnden Beinchen und über 90 noch einmal einen Hauch von Gebirge erhaschen zu können.

Märkischer Naturgarten
Doch ich bin aktuell fit… und so künstlich angelegt, sollte das die Tzschetzschnower Schweiz sein?

Märkischer Naturgarten
„Die Bedeutung Güldendorfs für die Naherholung und Freizeitgestaltung ist weiter auszubauen. Dazu ist die Einbindung des Natur- und Landschaftsschutzes (z.B. beschränkter Zugang in das NSG) wichtig als attraktivitätssteigerndes Potential“.*

Märkischer Naturgarten

Weinberge und Hospitalmühlenfließ

Tzschetzschnow - Erinnerung an das Bauernland
Tzschetzschnow – Erinnerung an Bauernland

Das Wanderwegzeichen hab ich verloren. Aber Hospitalweg ist richtig, besser gesagt: könnte früher richtig gewesen sein. Jetzt gilt wohl “beschränkter Zugang”.

Tzschetzschnow - die Hügel der Endmoränen
Tzschetzschnow – die Hügel der Endmoränen

Die Einzäunung beziehe ich auf den flächendeckenden Mais.

Tzschetzschnow - am Maisfeld
Rechts: Benzinmaisfeld – wozu sonst das in seiner Pracht vertrocknete Zeug?
Tzschetzschnow, verstecktes Quellgebiet
Verstecktes Quellgebiet
Tzschetzschnow - Jagd lohnt wohl nicht
Es war einmal…
Tzschetzschnow - das war also nicht der Wanderweg
Solche Ecke kenne ich – eine von mehreren! Und die Sperre???

Das ist zumindest nicht der Wanderweg Tzschetzschnower Schweiz. Aber auch nicht der Hang an dem ich im August entlang geseppt bin. Diesmal fließt Wasser im Grund. Und nach dem zweiten Waldeszipfel plus Maisfeld gibt es mittig über die Absperrung hinweg einen gangbaren Weg: “Weinberge” sagen später die globalen Maps.

Tzschetzschnow
DAS ist der Wanderweg erst recht nicht

Ich lande am plätschernden Bächlein an abschließend privatem Gehöft. Nix mehr mit Weg zu Quellen. Asphalt in Fließrichtung. An den “Weinbergen” die Laubenpieper. Die Romantik ist futsch. Das smarte Fotophone hat wieder versagt an diesen entscheidenden Punkten. Noch einige Meter bis zum Hohlen Grund – angeblich die derzeit einzige Möglichkeit, aus dem Hospitalmühlental zu entfleuchen.

Tzschetzschnow - Hospitalmühlenfließ
Hospitalmühlenfließ
Hospitalmühlenfließ zwischen Wildnis und Kultur
Hospitalmühlenfließ zwischen Wildnis und Pflaumenkultur
Tzschetzschnow, das Tal vom Hospitalmühlenfließ
Das Tal
Tzschetzschnow, Weiher am Hohlen Grund
Weiher am Hohlen Grund

Der ebenso einzige Weg von der Ziegelstraße aus hoch in meine gesuchte Schweiz sieht verwachsen aus. Mein Verzicht dürfte richtig gewesen sein: am Tunnel in die Freiheit mündet nichts ein bis auf ein zwischen Schilf untergegangenes Brücklein: unerreichbar.

Knoblauch statt Gold

Wo Tzschetzschnow zu Güldendorf wurde
Tzschetzschnow wurde zu Güldendorf

Ich mag es nicht dieses “Güldendorf”, daher von mir meist sorbisch ursprünglich Tzschetzschnow genannt. Kackgülden die NS-Zeit. “Gülden” und Gold. Die Götzen unserer Zeit. Der Straßenbau wird die letzten Hürden für die goldenen Kälber beseitigen. Das wollen wir, denn wir haben ein Häusel im Paradies.

Tzschetzschnow, Tunnelbau
Tzschetzschnow am Ende

Ich verlasse auf verbotenem Wege den Ort. Sieht einfacher aus als es ist: die Rohre reichen bis zur Brust, ihren Umfang hab ich unterschätzt.

Tzschetzschnower-Schweiz
Letztes, erstes oder einziges Haus noch der Tzschetzschnower-Schweiz?

Aber im letzten Haus vor dem Tunnel hab ich gerade noch einen Hauch Paradies für mich selbst erwischt: eine Kostprobe Rukolablatt. Und erst der Knoblauch… davon schwärmt die fast 100jährige Mutter. Es klingt nach meinem gesuchten Paradies. “Tschecznaw”, so lässt sich Tzschetzschnow aus dem Slawischen ableiten, benennt einen Ort, an dem Knoblauch wächst. Äpfel und Pflaumen sowieso: für Pflaumenhefekuchen, Pflaumenpfannkuchen, Pflaumenmus, Hefeklöße mit Pflaumen, Hefetaschen mit Pflaumenmus, Pflaumenschnaps. Die Sorben lassen grüßen!

Äpfel, Pflaumen, Rucola - sorbisch
Erinnerung an das Paradies

*Wer anstelle meiner subjektiven Eindrücke, Vorlieben und Ansichten lieber Fakten beurteilen möchte, lese → Rahmenplan Güldendorf von 1999, um so spannender: wie ich NACH der eigenen Wanderung.

***→Bilder vom Abstecher ins Güldendorfer Mühlental

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