Quellgebiet Goldenes Fließ

14. März 2020, quer durch den Frankfurter Stadtwald von Rosengarten bis Pillgram: allerlei militärische Hinterlassenschaften auf der Suche nach dem Geotop “Stolleneingang” und schlussendlich die Quellgebiete Booßener Mühlenfließ und Goldenes Fließ.

Unspektakulär liegt das Quellgebiet des Booßener Mühlgrabens in der Sonne. Ein einziger Blick vom Waldrand ins Offene: augenblicklich schreien sich zwei Kraniche die Vogelseele aus dem Leibe. Ich versuche in Deckung zu bleiben, wegelos. Bis zum Horizont dicht aufkeimende Wintersaat. Detailgenau Hügel, Wald, Gewässerstreifen wie es auf Googlemaps zu sehen ist. Es könnte Miniwässerchen in dem wohl noch natürlichen Bachverlauf geben, vielleicht auch erst im Weiher. Der Bogen nach Ost, den der Mühlbach hier an der Wasserscheide*** macht, ist deutlich: der Weiher als ein Richtung änderndes Kreisrund vor einem nach West abgrenzenden, sanften Hügel.

Panorama Quellgebiet Booßener Mühlenfließ

Östlich davon muss der Quellbereich vom Goldenen Fließ zu finden sein, dessen Wasser weit, weit in Spree, Elbe und Nordsee endet. Was für eine Vorstellung! Bis hierher wurden vor Millionen von Jahren die Steinblöcke aus Skandinavien geschoben, von hier aus fließen der Mühlgraben, die Klinge und ein, zwei kleine Fließe in der eiszeitlichen Schmelzwasserrinne wieder über die Oder in die Ostsee, wieder an die Gestade Skandinaviens. Nur dieses einzige Goldene Fließ macht es anders.

Erratische Steine bei Eduardspring

Woher kommen wir, wohin gehen wir… Wie sehr ist alles unsichtbar verbunden und daher wohl mehr als wir ahnen, abhängig voneinander. Wässerchen, völlig unbedeutend anzusehen, aber Verursacher einst ausgedehnter Feuchtwiesen. Längst vergessen. Acker, Acker. Nicht einmal Massentierhaltung. Nur eine wachsende Menschheit: wir schaffen das. Vor allem WIR. Logos vs. Mythos.

Das meliorierte Goldene Fließ

Ich bin gezielt ziellos durch Wald und wieder Wald bis zu den Quellgebieten Mühlenfließ und Goldenes Fließ geschlendert. Hauptsache Richtung. Nicht die Hauptwege, aber Wege.

Urplötzlich:

alles Blut staut, mein Atem stockt. Aus dem jungen Buchenwald erhebt sich ein dunkles, riesenhaftes Wesen. Riesenhaft. Von Fellfetzen umzottelt, nach allen Seiten starre, mehrlagige Fell-Lappen: Jagdzauber von Lascaux. Gott aus der Anderswelt. Schamanentraum. Niemand wird mir glauben. Das Handy, nicht in der Hand. Herzklopfen oder Herzstillstand. Die Sekunden verstreichen. Was ist Zeit? Adrenalin. Ist das Angst? Habe ich diese Angst zu haben? Wir starren uns auf einer einzigen, nur uns beiden gemeinsamen, pfeilgeraden Linie in die Augen. Ewigkeit, Unendlichkeit. Das Wesen dreht langsam. Ein kurzer Moment: ein Körper, ohne Eile, dann wie vom Erdboden verschluckt.

Der Gebieter aller Wälder
Langsam erwache ich, ganz langsam wie aus Hypnose. Schreck bis in die Knochen. Das Bild bleibt vor Augen, es brennt sich immer tiefer ein. Zwei Hirschkühe springen über den Weg, bleiben beobachtend auf der gegenüber liegenden Kuppe stehen. Der Wald ist durchsichtig in so einem zeitigen Frühjahr. In einem gänzlich anderen Bereich warnt ein Schild: “Wildruhezone. Hier soll das Wild ungestört bleiben.” Lockzone. Paradies des Verführers. Jenseits stehe ich und es IST das Paradies. Du sollst dir kein Bild machen. Davon kannst du niemals ein Bild machen.

Salzlecke. Paradies des Verführers.

Meine Fotos: dokumentarisch. Fokus mit Kantengrenzen. Dagegen das Augenerlebnis: Zwischen Himmel und Erde und die nächste Nähe.

Bohrung

Strahlende Frühlingssonne und strahlend weißer Quarzsand. Das Gleißen und Glitzern lockt abseits vom markierten Pilgerweg. Auf den bin ich gerade gestoßen – pilgern und stolpern…, die Nordroute vom Jakobsweg Polen – Frankfurt(Oder). Es ist klar: der Pilgerweg führt in großem Abstand, aber parallel zum Goldenen Fließ Richtung Sieversdorf durch den Wald.

Quarzsand

Verschwunden

Der Rest eines  kleinen, einstigen Weihers. Ein sensibles Feuchtgebiet liegt im Sterben. Bulten wie frisch bepflanzte Gräber.

Ahnung von einstigem Wasser

Dort, wo es feucht sein müsste: weitaus trockener als die Umgebung.

Goldenes Fließ, der Anfang ohne Quelle

Es war einmal: Goldenes Fließ

Goldenes Fließ ohne Wasser

Goldenes Fließ, Graben

Birken am Goldenen Fließ

Von der Oder her hat es der Elbebiber noch einmal versucht und ist kläglich gescheitert.

alter Biberfraß

Mit jagdlichen Interessen ist sein Stauversuch als letztes, inzwischen erstes Wasser erhalten geblieben, dammartig abgesperrt. Auf dem Aushub noch spät nachgewachsenes Schilf.

Goldenen Fließ, Schilfgürtel

Resedagold im Sonnenlicht

März 2020, Quellbereich Goldenes Fließ bei Booßen

Doch dann ein leuchtendes Farbwunder. Verwunschen. Endlich ahne ich, woher der Name des Fließes stammen könnte. Die Ursache kann ich nicht ergründen, zu sumpfig tief liegt das Wasser.

Goldenes Fließ, resedagoldenes Farbwunder
Vielleicht das Reich der Quellnymphen: aus Wasser und Sonne. Goldalgen (Chrysophyta)? Wer weiß schon, dass Algen Geschlechtszellen bilden und sich sexuell fortpflanzen können? Kleine Wesen mit Geißelfädchen. Die weiblichen Individuen mit Sexuallockstoffen. Diesen hier traue ich alles zu.

Goldenes Fließ, Insel
Nur diese einzige, goldgrüne Wasserstelle, dann wieder erdige Farbtöne.

Goldenes Fließ, Teich

Weiter zum nächsten Weiher. Nirgends erreichbar Wasser, nichts, nichts als Problembereiche: junge Fichten am geraden Grabenlauf. Was für ein Waldmanagement!? Jenseits von Glaube, Liebe, Hoffnung.

Goldenes Fließ, trocken

Danke, nein: zurück zum Zug nach Pillgram pilgere ich ohne Gott und Glauben. Ich renne. Biege ab auf brutal ausgefahrene Wege.

Pilgerweg am Goldenen Fließ

Unmöglich, den Zug Punkt “um”  (hoffentlich ohne die Raucherhuster vom Zigarettenhamstern) noch zu erreichen. Ich renne. Es ist so zwecklos. Parallel im linken Augenwinkel die Bahnstrecke. Farbkleckse unendlich langer Güterzüge – die dürfen noch, ab morgen macht der Coronavirus Schluss an der Grenze. Ich renne, röchele. Letzte Meter, zum Glück auf der treppenlosen Seite. Der Zug fährt mit 6 Minuten Verspätung ein. Schweißtriefend, fleckenrot falle ich auf den Sitz. Falls die Schaffnerin jetzt das Fieberthermometer zückt, bin ich in Quarantäne. Ein Blick – mich lässt sie aus. In der Ecke hustet und schnupft ein ältliches Ehepaar auf seine Fahrkarten.

Pillgram am Abend

Meine Bilder der militärischen Hinterlassenschaften habe ich aussortiert. Der Corona-Virus hat auch Defender 2020 lahm gelegt. Es gibt keinen Grund, an diese Spielchen zu erinnern.

***Die Wege, die mich noch nicht bis in das Quellgebiet führten: → Wasser, Wasser, Wasserscheide

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